Dr. Heinz-Lothar Barth

Prophetie der jungfräulichen Empfängnis (Jes 7,14)

Eine besonders deutliche Stelle aus einer direkten Prophetie, um aus dieser AT-Gattung noch ein Beispiel anzuführen (auch die Psalmen weisen ja öfters prophetischen Charakter auf), ist Jes 7,14: „Daher wird der Herr euch selbst ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sie wird seinen Namen Immanuel/Emmanuel nennen.“[1] An dieser Stelle, die traditionellen Gläubigen durch die Messe vom Quatembermittwoch im Advent und vielleicht noch mehr durch die adventlichen Roratemessen gut vertraut ist, wird die Geburt eines Kindes aus einer Jungfrau als (Wunder-) Zeichen von Gott verkündet. Durch Anklang an den prophetischen Wortlaut implizit in Lk 1,31 und explizit durch Zitat in Mt 1,22 f. wird
vom Neuen Testament dieser Vers auf die Jungfrau und Gottesmutter Maria bezogen.[2] Und hier kann es sich nicht um eine typologische Deutung handeln, wie gelegentlich behauptet wird[3]; eine nur allegorische im heutigen Sinne käme sowieso gar nicht in Frage. Denn es müsste ja schließlich bei der Annahme einer Präfiuration eine Erfüllungsebene vor der Empfängnis und Geburt Jesu von Nazareth gegeben haben. D. h., es müßte also eine Frau im Alten Testament namhaft gemacht werden können, in der die prophetischen Worte an König Achaz eine erste Erfüllung fänden, so dass jene Person als Vorbild/Typos/Präfiuration der jungfräulichen Gottesmutter Maria fungieren könnte. Eine solche zu bestimmen ist jedoch trotz vielfacher Versuche bisher nicht gelungen und wird auch niemals gelingen.[4] Die Jesajasprophetie ist in Wahrheit im Literalsinn auf Maria und nur auf Maria bezogen, wie schon die alte Kirche immer betont hat.[5]


[1]So nach der hebräischen Fassung. In der griechischen Version bei Mt 1, 23 heißt es: „Sie (man) werden (wird) seinen Namen Emmanuel nennen“. So auch die Vulgata. Im liturgischen Text steht das Passiv: „et vocabitur nomen eius Emmanuel“ – „und sein Name wird Emmanuel genannt werden/heißen.“

[2]Siehe Christiane Eilrich, Gott zur Welt bringen: Maria. Von den Möglichkeiten und Grenzen einer protestantischen Verehrung der Mutter Gottes, Regensburg 2011, 185 A. 40

[3]So die protestantische Autorin Eilrich (184 f.), die zwar manches Schöne in ihrem Marienbuch vorträgt, aber dann auch wieder völlig vom Konsens der Kirche abweicht, indem sie beispielsweise die Verkündigungsszene bei Lukas als „legendär“ charakterisiert (183 f.) und auch die Bedeutung der biologischen Komponente der Jungfräulichkeit, zu der sie sich allerdings selbst vorsichtig bekennt (anders als heute oft, auch in katholischen Kreisen, üblich), abwertet (185).

[4]Siehe z. B. die wertvolle Kurzdarstellung von Augustin Bea, Das Marienbild des Alten Bundes, in: Paul Sträter (Hg.), Katholische Marienkunde, Bd. 1: Maria in der Offenbarung, Paderborn 1947, 27–29. So problematisch Beas Einsatz im Bereich des Ökumenismus vom Standpunkt des überlieferten katholischen Glaubens war, so wertvoll sind oft seine biblischen und mariologischen Studien.

[5]Knapp, aber unter Berücksichtigung der wesentlichen Argumente einschließlich des philologischen Problems (hebräisch ha almah, griechisch hē parthenos) hat sich, ganz dem Geist der Kirche folgend, der hl. Petrus Canisius SJ, der 2. Apostel Deutschlands, in seinem monumentalen mariologischen Werk zu Jes 7,14 geäußert. Das Buch trägt den Titel „Maria, die unvergleichliche Jungfrau und hochheilige Gottesgebärerin“ (Warnsdorf 1933, Nachdruck Stuttgart 2013, 164–167) und ist durch einen umfangreichen Anhang mit Quellenangaben, geschichtlichen Bemerkungen und ausführlichen Registern wissenschaftlich gut erschlossen. Wichtige Überlegungen zum historischen Hintergrund der Jesaias-Passage, die die katholische Deutung der Stelle bestätigen, fidet man bei Johann Fischer, Das Buch Isaias. Übersetzt und erklärt, 1. Teil: Kapitel 1–39, Bonner Kommentar zum Alten Testament, Bonn 1937, 68–74.

Erschienen in KU Dez 2016