Eine Dominikanerin
Tapferkeit setzt Verwundbarkeit voraus. Ein Engel kann nicht tapfer sein, weil er nicht verwundbar ist. Tapfer zu sein bedeutet, Verletzungen erleiden zu können, bis hin zur Auslöschung des eigenen Lebens im Tod. Jede tapfere Handlung hat ihre Wurzeln in der Bereitschaft zu sterben. Für den Christen bedeutet dies die Bereitschaft zum Martyrium, aber das Martyrium ist nicht etwas romantisch zu Verklärendes, in das man freudig hineinrennt. Die Kirche hat es den Christen immer verboten, sich selbst zu stellen und das Martyrium aus eigener Entscheidung auf sich zu nehmen, weil sie gesehen hat, dass gerade die freiwilligsten und freudigsten der Christen von ihrem Vorsatz abfielen und schließlich den alten Göttern opferten.[1]
Märtyrer in unserer Zeit
Das Thema gewinnt neuerdings an erstaunlicher Brisanz. Es gibt wieder Märtyrer in unserer Zeit, die zwar noch ziemlich weit weg leben, die uns aber schon lange nicht mehr nichts angehen. Wohl sind nicht alle Christen, die verfolgt und getötet werden, Märtyrer, aber vielleicht ist doch der eine oder andere selbst in unseren westeuropäischen Ländern ein Märtyrer. […]
Keine Tapferkeit ohne Klugheit
Der tapfere Mensch muss um des Guten willen tapfer sein, und dazu muss er wissen, was gut ist. Das heißt, er muss zunächst klug sein und die Realität sehen, wie sie ist; dann muss er gerecht sein und bereit, einem jeden das ihm zutiefst Zustehende zu geben. Nur wer dann genau weiß, was auf dem Spiel steht und wofür er sein Leben oder wenigstens die Integrität seines Lebens wagt, kann dann tapfer im eigentlichen Sinn des Wortes sein. Wer waghalsig und vielleicht sogar mit einer gewissen Gleichgültigkeit sein Leben aufs Spiel setzt, ist keineswegs tapfer, denn Tapfer-sein bedeutet nicht, sein Leben zu riskieren, sondern um der gerechten Sache willen in Kauf nehmen zu können, dass man persönlichen Schaden erleidet. Dazu bedarf es persönlicher Opferbereitschaft, die durch echte Klugheit und damit durch die Vernunft bestimmt ist.
Der heilige Augustinus sagte: martyres non facit poena, sed causa.[2] Der Mensch setzt sein Leben nicht der Todesgefahr aus, es sei denn, um die Gerechtigkeit zu wahren. Darum hängt das Lob der Tapferkeit von der Gerechtigkeit ab.[3]
Standhalten und Angriff
Tapferkeit ist nicht Furchtlosigkeit, sondern im Gegenteil: Nur wer ein Übel fürchtet und es zu Recht, der Vernunft gemäß fürchten muss, kann tapfer sein, indem er sich durch die von diesem Übel ausgehende Bedrohung nicht einschüchtern lässt, sondern das größere Gut wahrt. Der Tapfere kann durch die Drohung nicht zum Übel gezwungen werden. Das Standhalten ist demgemäß der eigentliche Akt der Tapferkeit,[4] nicht
der Angriff. Der eigentliche Ort der Tapferkeit ist jener äußerste Ernstfall, in welchem Standhalten die objektiv einzig verbliebene Möglichkeit des Widerstands ist. Dieses Standhalten ist nur äußerlich gesehen etwas Passives, denn Standhalten erfordert große Seelenstärke und überzeugtes Festhalten am Guten.
Tapferkeit verlangt Geduld
Geduld gehört unbedingt zur Tapferkeit, aber sie hat nichts mit einer gewissen Gleichgültigkeit zu tun, die jedes Übel ohne Unterschied einfach annimmt oder sogar sucht. Geduldig ist nicht, wer das Übel nicht flieht, sondern, wer sich dadurch nicht zu ungeordneter Traurigkeit hinreißen lässt.[5] Geduldig sein heißt, sich nicht die Heiterkeit und Klarsichtigkeit der Seele rauben zu lassen, nicht aber, in stoischer Verzweiflung jegliches Übel auszuhalten oder sogar zu suchen. Wer tapfer ist, ist deswegen auch geduldig, denn er ist bereit, ein Übel um eines größeren Gutes willen in Kauf zu nehmen, aber er weiß auch, dass Übel eben übel ist und dass es nie um seiner selbst willen gesucht werden darf, dass es bekämpft werden muss, wenn nötig mit Kampf und Angriff.
[1]Vgl. Die prokonsularischen Akten des heiligen Cyprian 1. Nach J. Pieper, Werke, Bd. 4: Vom Sinn der Tapferkeit, S. 115
[2]Nicht die Verletzung, sondern die Sache macht den Märtyrer. Enarrationes in Psalmos 34, 13
[3]Thomas von Aquin: Summa theologica, II-II, 123, 12 ad 3
[4]Vgl. II-II, 123, 6
[5]II-II, 136, 4 ad 2
Erschienen in KU Dez 2016