Der hl. Gabriel Possenti (1838-1862)
Jens Mersch
Nichts hätte bei dem Teenager auf einen späteren Heiligen schließen lassen. Auch im alten Kirchenstaat, der in dessen Geburtsjahr 1838 noch fast von Bologna bis Neapel reichte, lebten erbsündlich belastete Menschen. Wie soll es auch anders sein.
Der junge Mann, von dem hier gesprochen werden soll, kam zwar aus gutem Hause – sein Vater war vom Papst bestelltes Stadtoberhaupt von Assisi –, war aber in seiner Schulzeit eher ein Sorgenkind seiner frommen Eltern. Vergnügungen aller Art hatten es dem auf den Namen Francesco Getauften angetan, obwohl die Jesuiten in Spoleto, seine Erzieher, wegen seines offenen Wesens und seinen Begabungen große Hoffnungen auf ihn setzten. Er achtete sehr auf moderne Kleidung, ließ keine Theateraufführung und keine „Party“ aus. Man nannte ihn den „Tänzer“. Der Frauenwelt war der Jüngling ehrenhaft zugetan, aber man liest, der Romantiker hätte sein Herz gleichzeitig zwei jungen Damen versprochen. Und sein Sport war das Jagen mit dem Gewehr.
Ja, er war stolz auf Stand, Aussehen und Geistesgaben, dabei stets fröhlich und großherzig. Ein typisch italienisches Teenager-Leben.
Die guten Einflüsse der Familie – er war das elfte von dreizehn Kindern seiner 1842 verstorbenen Mutter – und von Priestern der Gesellschaft Jesu gaben dem umstürmten Wachstum einen festen Grund. Es war eine unruhige Zeit. Das „Risorgimento“, die italienische Einigungs- und Revolutionsbewegung, begeisterte nicht wenige. Sein eigener Bruder geriet in das freimaurerische Umfeld und fand einen verzweifelten Tod.
In einer schweren Krankheit machte unser Heißsporn das Gelübde, sich Gott zu weihen, er wiederholte es beim Tod seiner geliebten Schwester Luisa.
Große Vorsätze – aber noch geringe Willenskraft, dieser Gnade zu folgen.
Es kam der 22. August des Jahres 1856. Der Erzbischof vom Spoleto führte die „heilige Ikone“, das in der umbrischen Stadt hochverehrte Gnadenbild der Gottesmutter, in Prozession durch die Straßen, um nach der Cholera-Epidemie, die auch Luisa dahingerafft hatte, Gott zu danken. Als Francesco die Ikone sah, war es ihm, als ob Maria ihm in die Augen schaute. Im Inneren hört er eine Stimme: „Francesco, die Welt ist nichts für dich. Du gehörst ins Kloster. Wann machst du endlich Ernst mit dem gegebenen Versprechen? Was man verspricht, muß man doch halten!“
Nur wenige Tage später, nicht ohne äußere Widerstände, trat der 18-Jährige bei den Passionisten ein, einer vom hl. Volksmissionar Paul vom Kreuz (1694- 1775) gegründeten Ordensgemeinschaft, die streng den Geist des beschaulichen Gebetes, der Zurückgezogenheit und der Armut lebte. Durch ein viertes Gelübde verpflichten sich die Passionisten, das „Gedächtnis des Leidens Christi durch Wort und Tat zu verbreiten“. Sie trugen an ihrem schwarzen Ordenshabit ein Passionszeichen („Jesu Christi Passio“). Die Ordensmitglieder erhielten zu ihrem Namen einen Zusatz, ein besonderes Glaubensgeheimnis.
Francesco erhielt den Namen „Gabriel von der schmerzhaften Jungfrau“ (lat. Gabriel a Virgine perdolente / ital. Gabriele dell’Addolorata).
Wie kann man die wenigen Jahre zusammenfassen, die der Novize und Theologiestudent in mehreren Häusern der Passionisten durchlebte? Regeltreue, Gebetseifer, Bußgeist, aber auch Fröhlichkeit. Im Mittelpunkt stand die Verehrung des Leidens Christi, der hl. Eucharistie und der schmerzhaften Madonna. Gott schenkte ihm eine seelische Schönheit, die er nur denen verleiht, die sich ganz der Gnade öffnen. Trotz des strengen Lebens im Kloster konnte Frater Gabriel seinem Vater schreiben: „Mein Leben ist eine einzige Freude. Die Zufriedenheit, die ich verspüre, ist unaussprechlich.“
Am 27. Februar 1862 starb er, ein Bild der Schmerzhaften Madonna in Händen, im Kloster Isola in den Abruzzen an Tuberkulose, nachdem er vorher noch die vier niederen Weihen empfangen hatte. „Nun könnte ich schon Priester sein. Doch Gott hat es anders gefügt, und was er will, das will auch ich“, schrieb er nach Hause.
Wenn auch sein Beichtvater überzeugt war, daß er kurz vor seinem Verscheiden die Gottesmutter sah, spricht nichts in den Lebensberichten von übernatürlichen Ereignissen, Wundern oder Ekstasen. Es war die „alltägliche Heiligkeit“, die in der treuen Erfüllung der Standespflichten und in der treuen Mitwirkung mit der Gnade Gottes besteht, die unseren Heiligen ausmachte.
Die hl. Gemma Galgani (1878- 1903), die 1940 heiliggesprochene stigmatisierte Mystikerin aus Lucca, hatte eine besondere Beziehung zum hl. Gabriel. Sie beschreibt mehrere Erscheinungen des hl. Gabriel im Jahr 189l, der sie zum Geduld in ihrem schweren Leiden und zur Ergebenheit dem Willen Gottes gegenüber aufforderte: „Zuerst die Seele, dann der Körper!“ Sie nannte ihn ihren „Beschützer“.
Nicht wenige Menschen berichteten in der Vergangenheit immer wieder von der wunderbaren Fürbitte des Heiligen. Besondere Bekehrungen folgten seiner Anrufung. Bitte heute ist sein Grab einer der beliebtesten Wallfahrtsorte Italiens.Seine Reliquien werden in der ihm geweihten Passionisten-Kirche zu Isola verehrt. Der Ort liegt in der Provinz Teramo, zwischen dem höchsten Berg der Abruzzen (Gran Sasso) und der Adria, ca. 150 Kilometer östlich von Rom.
Details / Literatur
1) Festtag
- Februar
2) Verehrung
Seligsprechung 1908 durch den hl. Pius X. Der Papst hob für diese Causa die Bestimmung auf, daß zwischen Tod und Ehre der Altäre fünfzig Jahre liegen mußten.
Heiligsprechung 1920 durch Benedikt XV. Er wird als Jugendpatron angerufen.
Eine besondere Wallfahrt machen italienische Studenten aus den Marken und aus den Abruzzen genau hundert Tage vor Studienabschluß.
3) Literatur
Erhalten sind nur 46 Briefe und eine Sammlung von Exerzitien-Vorsätzen.
Ein Roman, nicht nur für Jugendliche, fasst das Leben des Heiligen schön zusammen:
Wilhelm Hünermann
Der Tänzer von Spoleto
Das Leben des Jugendheiligen Gabriel Possenti (1838–1862)
Illustriert von Elis Romagnoli
Gebunden
336 Seiten
München/Luzern (Rex) 1962
Lauerz (Theresia) 2004 (2. Auflage)