Papst Leo der Große (390-461) über das Weihnachtsfest

Laßt uns frohlocken, denn heute ist uns der Heiland geboren! Darf doch dort keine Trauer aufkommen, wo das Leben selbst zur Welt kommt, das dir Furcht vor dem Tode kommt und uns durch die Verheißung ewigen Lebens mit Freude erfüllt. Niemand wird von der Teilnahme an dieser Jubelfeier ausgeschlossen, alle haben den gleichen Grund, in festlicher Stimmung zu sein. Denn da unser Herr, der die Sünde und den Tod vernichtet hat, niemand findet, der ohne Schuld ist, so kommt er, um alle zu befreien. Es jauchze der Heilige, weil er sich der Siegespalme naht; es frohlocke der Sünder, weil ihm Verzeihung winkt! Denn nachdem sich die Zeit erfüllt, welche die unerforschliche Tiefe des göttlichen Ratschlusses dazu bestimmte, nahm der Sohn Gottes die Natur des Menschengeschlechtes an, das wieder mit seinem Schöpfer versöhnt werden sollte, damit der Teufel, der den Tod in die Welt brachte, gerade durch die menschliche Natur, die er bezwungen hatte, wieder bezwungen würde.

In diesem für uns unternommenen Kampfe wurde der Streit nach dem erhabenen und bewunderungswürdige Grundsatz der Gleichheit geführt, indem sich der allmächtige Herr mit dem so wütenden Feinde nicht in seiner Majestät, sondern in unserer Niedrigkeit mißt. Er stellt ihm den gleichen Leib entgegen und die gleiche Natur, die zwar wie die unsrige sterblich, aber frei von jeder Sünde ist. Gilt doch von seiner Geburt nicht, was von der aller zu lesen steht: Niemand ist rein vom Schmutz der Sünde, nicht einmal das Kind, dessen Lebenshauch nur einen Tag auf Erden währt. (Job 14, 4) Keinerlei Makel ist auf diese Geburt, die nicht ihresgleichen hat, von der Begierlichkeit des Fleisches übergegangen, keinerlei Schuld vom Gesetz der Sünde auf sie entfallen. Eine königliche Jungfrau aus dem Stamme Davids wird dazu auserwählt, die heilige Frucht in sich aufzunehmen und Gottes und des Menschen Sohn zunächst im Geiste und dann in ihrem Schoße zu empfangen.

So ist das Wort Gottes, Gott, Gottes Sohn, der im Anfang bei Gott war, durch den alles gemacht worden ist und ohne den nichts gemacht wurde, Mensch geworden, um den Menschen vom ewigen Tode zu befreien. Dabei hat er sich ohne Minderung seiner Majestät in der Weise zur Annahme unserer Niedrigkeit herabgelassen, daß er die wahre Knechtsgestalt mit jener verband, worin er Gott dem Vater gleich ist. Er blieb, was er war, und nahm an, was er nicht war. In der Weise hat er sich herabgelassen, daß er beide Naturen miteinander vereinte, daß weder die Erhebung der niedrigen Natur diese in der göttlichen Natur aufgehen ließ, noch ihre Annahme der höheren Abbruch tat. Indem also die Eigenart beider Wesenseinheiten gewahrt bleibt und sich zu ein und derselben Person verbindet, bekleidet sich die Majestät mit Niedrigkeit, die Stärke mit Schwachheit, die Ewigkeit mit Sterblichkeit. Und um die Schuld unseres Sündenzustandes zu tilgen, hat sich die unversehrbare Natur mit der leidensfähigen vereint, sind wahrer Gott und wahrer Mensch zur Einheit des Herren verbunden. Dadurch sollte – wie dies unserer Erlösung entsprach – ein und derselbe Mittler zwischen Gott und den Menschen einerseits sterben, anderseits auferstehen können. Billigerweise also brachte die Geburt des Heils der jungfräulichen Reinheit keinerlei Schaden; denn das Erscheinen der Wahrheit war ein Schutz der Keuschheit. Eine solche Geburt, durch die (unser Heiland) in seiner Menschlichkeit uns gleich, in seiner Göttlichkeit uns überlegen sein sollte, ziemte Christus, Gottes Macht und Weisheit. Wäre er nicht wahrer Gott, so brächte er keine Erlösung; wäre er nicht wahrer Mensch, so böte er uns kein Beispiel Darum wird auch von den jauchzenden Engeln bei der Geburt des Herrn gesungen: Ehre sei Gott in der Höhe! Darum wird auch den Menschen auf Erden, die guten Willens sind, Friede verheißen. Sehen sie doch, wie sich das himmlische Jerusalem aus allen Völkern der Erde erbaut. Wie sehr muß sich da menschliche Niedrigkeit über dieses unbeschreibliche Werk der göttlichen Liebe freuen, wenn die hehren Engel darüber in solchen Jubel ausbrechen! Laßt uns Gott dem Vater durch seinen Sohn im Heiligen Geiste danken! Hat er doch um seiner reichen Barmherzigkeit willen, mit der er uns liebte, sich unser erbarmt, und obgleich wir tot waren durch Sünden, uns lebendig gemacht mit Christus [Eph. 2, 5]

Erschienen in KU Dez 2016