Es war der Philosoph und Politologe Eric Voegelin (geb. 1901 in Köln, gest. 1985 in Palo Alto, Kalifornien), der in einem kurz vor seiner Emigration in die USA 1938 erschienenen Buch den Begriff der politischen Religion geprägt hat: Damit deutete Voegelin die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts wie Nationalsozialismus und Kommunismus vornehmlich als säkularisierte Formen apokalyptischer Erlösungs- und Heilslehren.

In der Tat gibt es in Strukturen, Funktionsweisen und Grundideen des Kommunismus und des Nationalsozialismus deutliche Parallelen zu denen von Religionen: So sahen die totalitären Wortführer sich und ihre Bewegung als säkulare Erlöser, als neue Heilande der modernen Welt, in ihrem Kampf ging es um die vollständige Ausrottung des Bösen und die Schaffung eines irdischen Paradieses. Die Konsequenzen dieser politischen Messianismen waren am Ende die Vernichtung der feudalen und bürgerlichen Klassen, ihrer Kultur und Repräsentanten durch den Bolschewismus und der Völkermord am europäischen Judentum durch die Nationalsozialisten. Das Aufkommen solcher säkularen politischen Religionen im 20. Jahrhundert sieht Voegelin zuallererst als Symptom einer tiefgreifenden geistig-kulturellen und sozialpolitischen Krise der ehemals christlichen westlichen Welt.

Ihre politischen Utopien seien gleichsam als Verweltlichung religiöser Heilsvorstellungen zu lesen: „Im Kontext der europäischen Totalitarismen wird die transzendente Erlösung zum irdischen Heil umgedeutet und als Massenwahn exekutiert“ (nach Hermann Broch).

Als eine extreme politische Religion im Sinne Voegelins kann auch der moderne Islamismus charakterisiert werden, der sich zwar in unterschiedliche Richtungen und Gruppierungen gliedert, jedoch ein den europäischen politischen Religionen vergleichbares gemeinsames Weltbild aufweist. Für sie alle ist schließlich die Gegenwart eine messianische Zeit, in der es um die Erlösung der Menschheit geht. So sah sich etwa der schiitische Revolutionsführer und Gründer des „Gottesstaates“ Iran Ayatollah „Imam“ Chomeini als Wegbereiter des Mahdi, des in die „Verborgenheit“ entrückten 12. Imams, dessen Wiederkehr am Ende der Tage die „gottlosen“ Weltanschauungen und „falschen Religionen“ sowie alles Übel in der Welt beseitigen und der islamisch gewordenen Menschheit Gleichheit, Frieden und Glück schenken werde.

Von Norbert Clasen erschienen in KU Dezember 2016