Frage an Prof. Dr. Christian Gnilka
Kirchliche Umschau: Sie haben jüngst ihre Stimme zur Glaubwürdigkeit kirchlicher Überlieferung erhoben: in der Debatte um die Petrus-Präsenz in Rom haben Sie die Zuverlässigkeit der Tradition verteidigt.
Prof. Dr. Christian Gnilka: In einem aufsehenerregenden Buch wurde unlängst behauptet, Petrus sei niemals in Rom gewesen, die römische Petrus-Tradition sei aus dem Mißverständnis einer Inschrift entstanden und habe sich durch weitere Textmißverständnisse verbreitet. Der Beweis dieser These ist nicht geglückt und kann meines Erachtens auch nicht glücken. Immerhin hat sie dazu geführt, daß der Petrustradition nochmals unter philologischem, historischem und archäologischem Aspekt nachgegangen wurde. Die Ergebnisse liegen in einem stattlichen Tagungsband der Görres-Gesellschaft vor: „Petrus und Paulus in Rom“, herausgegeben von Monsignore Prof. Dr. Stefan Heid (Herder 2011). Mich hat die Auseinandersetzung mit dem Buch auf ein Zeugnis der Petrus-Tradition aufmerksam werden lassen, das bisher übersehen wurde. Tertullian verweist für das Martyrium Petri auf das amtliche Protokoll im römischen Staatsarchiv. (Tert. scorpiace 15,3). Er muß sich also sicher gewesen sein, daß es dort vorhanden war; denn das Archiv war zugänglich. Daß er selbst es sah – er glänzte in den Jahren um 190 n. Chr. als Anwalt in Rom –, ist nicht unmöglich, mir sogar wahrscheinlich. Norbert Clasen hat in der Kirchlichen Umschau (12, 2009, 20) anläßlich eines anderen Falls (Tert. adv. Marcionem 4,7,7: es geht um die augusteischen Zensus-Listen als Zeugnis der Geburt Christi) für Tertullian denselben Schluß gezogen.
Aus Kirchliche Umschau Januar 2013